Angetrieben von ihrem unbeugsamen Willen nahm Vreni Fehr nach einem Hirnschlag im Mai 2018 ihre Rehabilitation in der Rheinburg-Klinik in Angriff. «Volle Kraft voraus – so kann es nicht bleiben» war dabei ihr Mantra. Dazwischen gab es Phasen der Trauer und Erschöpfung, die sie aber dank ihrer mentalen Stärke immer wieder schnell überwinden konnte.
Vreni Fehr lebt gesund. Sie treibt Sport, ist viel in der Natur unterwegs, achtet auf ihre Ernährung und ist Nichtraucherin. Dass gerade sie mit gerade einmal 57 Jahren einen Schlaganfall erleiden würde, wäre ihr nicht in den Sinn gekommen. Auch dass ihre Mutter und – kurz, bevor sie selbst betroffen war – ihr Bruder einen Schlaganfall hatten, war für sie kein Grund, sich selbst als gefährdet zu betrachten. Sie war noch jung und es ging ihr bestens.
Ein Gefühl wie nach dem Zahnarzt
Also dachte Vreni Fehr nicht an irgendwelche Vorzeichen, als sie am 6. Mai nach der Erstkommunion ihres Enkels plötzlich eine starke Müdigkeit überfiel – und sie nach einem langen und tiefen Mittagsschlaf mit einem Taubheitsgefühl im Kiefer aufwachte. Es fühlte sich an, als wäre sie beim Zahnarzt gewesen. Ihre Tochter war zudem der Meinung, ein Muskel in ihrer linken Gesichtshälfte sehe «komisch» aus. Der nächste Tag, ein Montag und Vreni Fehrs Geburtstag, war anstrengend. Nach der Arbeit musste sie schnell einkaufen, am Abend kamen Gäste. Wieder war da diese extreme Müdigkeit und Abgeschlagenheit.
Tags darauf, am 8. Mai, suchte sie ihren Hausarzt auf. Auch er konnte die Symptome nicht einordnen, schickte seine Patientin daher zum MRI – auf dem aber nichts zu erkennen war. Zur Befundbesprechung kam es nicht mehr, denn in der Nacht zum 9. Mai musste Vreni Fehr von ihrem Mann in die Notaufnahme nach St.Gallen gebracht werden. Ihre linke Hand hatte sich in den frühen Morgenstunden zu einer Faust zusammengekrampft – spätestens jetzt war sie alarmiert; irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. In der Klinik wurde ein hoher Blutdruck festgestellt und mit Infusionen behandelt, zu Mittag war sie stabil, wurde auf ihr Zimmer verlegt und schlief den ganzen Nachmittag.
Schlaganfall im Spitalbett
Doch es gab ein böses Erwachen im Spitalbett: «Ich konnte plötzlich meine linke Körperhälfte nicht mehr bewegen. Ein Riesenschock. » Wieder bekam sie Infusionen, und jetzt war auch die Diagnose eindeutig: Vreni Fehr hatte einen Schlaganfall erlitten. Doch was sie nicht bekam, und was ihr fürchterliche Angst machte, war die Antwort auf die bange Frage: «Was ist da los und wird das wieder gut?» Es war Auffahrtswochenende und Muttertag, der Klinikbetrieb also eingeschränkt. Ihr Mann und ihre drei Töchter besuchten sie im Spital – emotionale Tage, geprägt von Ungewissheit und Ängsten.
Wenige Tage später übersiedelte Vreni Fehr in die Rehaklinik nach Walzenhausen, wo sie im Rollstuhl in ihr Zimmer gefahren wurde. Die schöne Aussicht, die freundlichen Menschen und das autogene Training, das sie täglich in der frühmorgendlichen Stille bei Sonnenaufgang absolvierte, liessen sie zuversichtlich in die Zukunft schauen: «Ich wollte wieder aktiv sein; ich hatte das Bild klar vor Augen, wie ich wieder Velo fahre, und ich sah mich mit meinem Mann wieder Touren unternehmen. Speziell die grosse Donauvelotour nach Tulcea. 2017 hatten wir es bereits bis Belgrad geschafft, 2018 wollten wir die letzte Etappe fahren, aber dazu kam es nicht mehr. Das stand jetzt ganz oben auf meiner Wunschliste.»
«Links heben, links drücken»
Mit dieser Vision vor Augen gab sie auf dem Sitzvelo alles. Während ihre Füsse auf den Pedalen festgezurrt waren, war sie mental ganz in ihrem Bein: «Links heben, links drücken. Links heben, links drücken.» Ihr Bein gehorchte und lernte – und die ersten Erfolge liessen nicht lange auf sich warten; schon bald funktionierte ihr linkes Bein wieder. Der linke Arm, die Hand und die Finger waren aber noch längere Zeit Sorgenkinder: Nur unter grosser Anstrengung schaffte sie es, das erste Glied ihres Daumens zwei Millimeter anzuheben. Doch nach jeder Trainingseinheit ging es etwas besser: Täglich standen anstrengende Physio- und Ergotherapien auf dem Trainingsplan, aber auch wohltuende Akupunkturmeridian-Massagen. Letztere waren für Vreni Fehr eine wertvolle Ergänzung: «Meinem Therapeuten bin ich mein Leben lang dankbar. Durch seine Bemühungen, sein Fachwissen und seine grosse Geduld konnte ich meine Finger immer besser bewegen.»
Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr auch die Spiegeltherapie für die Finger – eine grosse, aber interessante Herausforderung, die sie mit ihrer «wunderbaren und geduldigen Therapeutin» meisterte. Und dann gab es noch «Armeo», den Armroboter: Vreni Fehrs Arm wurde in den Roboterarm eingespannt und in alle Richtungen bewegt – einer der vielen Lernprozesse im Laufe der Reha-Wochen.
«Dranbleiben, Frau Fehr, das kommt!»
Eigentlich wollte sie nur drei Wochen bleiben. Sie fand, sie sei schon so lange da, und sie habe ja schon gute Fortschritte gemacht. Doch ihr Arzt bot an, bei der Krankenkasse um Verlängerung anzusuchen. Sie solle jetzt «dranbleiben, das kommt!» – und sie blieb dran; schlussendlich fast 10 Wochen lang. Eine gute Entscheidung, denn jeder Kontakt mit den Therapeutinnen und Therapeuten brachte Vreni Fehr körperlich wie mental weiter: «Ich habe in der Rheinburg-Klinik tagtäglich Bestärkung und positives Feedback erfahren. Das alles hat mich unglaublich vorangebracht.»
Manchmal erinnerte sie sich an eine Aussage einer Pflegerin im Akutspital, die es bestimmt gut meinte, als sie sagte, dass nach einem Schlaganfall «halt immer etwas bleibt». Und es gebe ja ganz tolle Partner-Velos, mit denen man auch schöne Ausfahrten machen könne. Nur: Allein die Vorstellung, dass ihr Mann das Velo bewegt und sie vorne im Rollstuhl sitzt, machte Vreni Fehr sehr wütend: «Das muss die mir nicht sagen! Ich fahre wieder allein mit meinem Velo!» Und sie trat noch fester in die Pedale ihres Sitzvelos.
Und heute sitzt sie wieder auf dem eigenen Velo. Aber nicht nur das. Auch Skifahren, Zehnfingersystem, Stricken und natürlich Enkel herzen: geht alles wieder – manches zwar noch etwas langsamer als früher, aber Vreni Fehr bleibt weiter dran. Sie fährt regelmässig von Widnau zur ambulanten Physio- und Ergotherapie nach Walzenhausen, hat bereits ihren ersten Pulli fertiggestrickt und zweimal pro Woche arbeitet sie wieder als Verkaufsassistentin bei ihrem früheren Arbeitgeber in Heerbrugg, wo sie seit 26 Jahren tätig ist.
Was wirklich bleibt
«In mir ist eine tiefe Demut und Dankbarkeit verankert. Die Ärzte, das Pflegepersonal, das Therapieteam, meine Familie, mein Chef und meine Freunde haben mich in der schwersten Zeit in meinem Leben immer wieder motiviert und aufgebaut. Ich hatte Glück im Unglück, und ich bin froh, dass wir in Walzenhausen eine so gute Rehaklinik haben.»
Zur Person
Verena Fehr ist 59 Jahre alt, wohnt in Widnau im Kanton St.Gallen und arbeitet als Verkaufsassistentin in Heerbrugg. Sie ist verheiratet, hat drei erwachsene Töchter und acht Enkelkinder im Alter zwischen 15 und 3 Jahren, die «Der Balsam» für ihre Seele sind. Sie freut sich, mit ihrem Mann bald die letzte Etappe der Donauvelotour von Belgrad nach Tulcea abzuschliessen.
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